Im Jahr 1911 wurde in Orani, einem kleinen Ort mit 3000 Einwohnern (Nuoro, Barbagia – Sardinien), Costantino Nivola geboren. Ich bin bereits mehrere Male hier gewesen, meist in Eile, aber immer mit dem gleichen, unbestimmten Gefühl, eigentlich noch nichts oder nur wenig gesehen zu haben, und daher mit dem Versprechen, dies bald nachzuholen.
Ohne eine Kunstexpertin zu sein, hat mir die Person Nivolas, der Kontrast zwischen Sardinien und der Welt, seit jeher gefallen. Ich kann nicht genau sagen, was genau mich an ihm so fasziniert, es ist nicht allein eine Frage seiner künstlerischen Arbeit, sondern eher eine menschliche.
Wenn man durch die Strassen der Altstadt Oranis geht, sieht man als erstes die Dauerausstellung « Ritorno a Itaca ». Im Jahr 1958 kehrt Costantino, der mittlerweile in Amerika ein bekannter Künstler geworden war, nach Orani zurück. Er stellt in den Strassen der Stadt zahlreiche Skulpturen auf und beginnt, an der Fassade der Kirche Sa Itria zu arbeiten. Dabei erhielt er die Unterstützung der Dorfbewohner, die seinen Stil und seine Werke sehr schätzten.
Seine Erfahrungen finden sich in den Aufnahmen des Fotografen Carlo Bavagnolis wieder, welcher von der amerikanischen Zeitung Time nach Orani entsandt wurde, um über Nivolas Schaffen zu berichten. Das Ergebnis ist meiner Meinung nach meisterhaft: Die Bilder, von eindrucksvoller Größe und Bedeutung, führen die Besucher in den Jahren zurück und lassen sie den Zeitgeist der Arbeit Nivolas und der Epoche selbst nachempfinden. Vor allem bringen sie ihnen den Menschen – und damit den Künstler – Costantino Nivola näher und zeigen seine Entwicklung. In seiner eindrucksvollen und gleichzeitig so einfachen Person findet sich etwas sehr Vertrautes. Inseinem Blick, so durchdringend und wahr, in den Falten, die diesem Blick ein Lächeln verleihen, in diesen Händen, welche die Arbeit kennen, liegt etwas Bekanntes, zutiefst sardisch und einzigartig.In all seiner warmherzigen Größe gelang es Nivola, seiner inneren Stimme zu lauschen, sich zu verwirklichen und dabei über sich selbst hinauszuwachsen.





Das Museo Nivola, welches über die größte Sammlung der Werke des Künstlers verfügt, ragt von einer kleinen Hügelkette auf, von welcher man eine herrliche Aussicht über das Dorf hat. Im Jahre 1995 eröffnet, verfügt es über zahlreiche Ausstellungsräume, die über einen herrlichen Garten verteilt sind, verbunden durch kleine Bäche, deren Geräusch fließenden Wassers der Umgebung einen Zauber von Frieden und Einklang mit der Natur verleiht.Im Außenbereich entdecke ich einige der mir bereits bekannten Skulpturen, im Innenbereich erwartet mich eine warme und sorgfältig gewählte Beleuchtung, welche die Ausstellungsstücke miteiner besonderen Atmosphäre umgibt.
Seit der Neueröffnung des Museums vor Kurzem besteht der aktive Wunsch, die neugestalteten Räumlichkeiten zu einem Ort für zahlreiche Initiativen, Veranstaltungen und Begegnungen zu machen, die zusätzlich zum Betrachten der Kunstwerke die Möglichkeit einer kulturellen Anlaufstelle und deren ständige Weiterentwicklung bieten. Das Museum präsentiert die Vielseitigkeit des Künstlers: seine Tätigkeit als Grafiker, Bildhauer und Maler. Es stellt auch die von ihm entwickelte Technik des „sand-casting“ vor, bei der mit Sand eine Gussform erzeugt wird, welche dann mit Gips oder Zement aufgefüllt wird, um so ein Relief oder ein Objekt herzustellen.


Weiterhin werden neben den regulären Ausstellungsstücken auch die unvollendeten Projekte Nivolas gezeigt, darunter ein Denkmal für den berühmten sardischen Autor, Politiker und Philosophen Antonio Gramsci sowie die Idee zu einem „überdachten Orani“ (paese pergolato): Hierbei wollte Nivola die Straßen des Dorfes mit einer Pergola, einem dachähnlichen Holzkonstrukt bedecken, um sie so zu einem verbindenden Element zwischen den einzelnen Häusern zu machen. Das Konzept dieser Idee finde ich äußerst interessant, sehe ich darin doch die selben Motive wie bei der Künstlerin Maria Lai und ihrem Projekt „Legarsi alla montagna“ (Mit den Bergen verbunden), in der Ortschaft Ulassai. Es war der Fortschritt, der im Laufe der Jahre dafür sorgte, dass den Menschen der Sinn für Gemeinschaft und der Wunsch, ihr Leben mit anderen zu teilen, abhanden kam. Und Costantino Nivola spürte den Verlust und die beginnende Einsamkeit, als man begann, sich von den einst belebten Straßen in die Häuser zurückzuziehen.

Nach Orani zurückzukehren und das Museo Nivola zu besuchen, war eine große Bereicherung. Ich hoffe sehr, hier einen neuen Ort regelmäßiger kultureller Veranstaltungen entdeckt zu haben, in diesem Sardinien, welches ich einmal auf’s Neue als so eng mit der Welt verbunden wahrgenommen habe.
Für weitere Informationen: Museo Nivola
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